Japanische Expansion und die Bedrohung der globalen Sicherheit in der Zwischenkriegszeit

Der dritte Teil unseres Themenblocks zu Südostasien wurde von Josef Mlejnek geleitet. Bei diesem Vortrag handelte es sich zudem um den ersten Vortrag der Asien-Reihe, welcher sich mit einer historischen Fallstudien beschäftigte. Eine Woche später ist ein zweiter Vortrag im gleichen Rahmen geplant. Das Ziel der beiden Teile ist es zu ergründen, wie effektiv die Intervention von IGOs in Kriegen Ostasiens im 20 Jh. war. Herr Mlejnek referierte in diesem Kontext zu dem gescheiterten Versuch des Völkerbundes, den japanischen Imperialismus einzudämmen. Dabei zeigte er zum einen auf wie Japan die internationale Bühne für den aufsteigenden Faschismus vorbereitete und die Wege Mussolinis sowie Hitlers ebnete. Zum anderen zeigte er auf, welche strukturellen und ideologischen Probleme den Völkerbund davon abgehalten haben, effektiv zu intervenieren. Historische Kontextualisierung half, einen Einblick in zentrale Ereignisse der Geschichte Ostasiens zu erhalten.

Herr Mlejnek erklärt das Konzept der kollektiven Sicherheit in den Vereinten Nationen © HSG Jena

Gespannt lauschen die Zuhörer der historischen Einordnung © HSG Jena

Herr Mlejnek begann den Vortrag damit, warum dieses Thema überhaupt von Bedeutung ist. Er hob dabei hervor, dass der japanische Imperialismus (1895-1945) in Europa relativ unbekannt ist, jedoch eine der zentralen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im 20. Jahrhundert darstelle. Manche Historiker würden die vom Japanischen Imperium ermordeten Menschen auf 30 Millionen schätzen, von denen 80% Zivilisten gewesen seien. Dazu kämen die systematische Folter von Kriegsgefangenen, systematische Massenvergewaltigungen und massive medizinischen Experimente an feindlichen Zivilisten. Deswegen sei japanischer Imperialismus als das nach den nationalsozialistischen Verbrechen brutalste imperialistische Streben des 20. Jahrhunderts zu bewerten. Manche chinesische Historiker, wie Iris Cheng, würden sogar so weit gehen, den japanischen Imperialismus mit dem Nationalsozialismus hinsichtlich Kriegsverbrechen gleichzusetzen. Je nach der eigenen Positionierung in historiographischen Debatten könne der japanische Imperialismus als eine Form des Faschismus bezeichnet werden.

 
Laut Mlejnek ist es aufgrund der Seriosität der japanischen imperialistischen Verbrechen wichtig zu fragen, wie es dazu kommen konnte. Diese Frage könne auf der Ebene des Individuums, auf der Ebene des Staates aber auch auf der Ebene des Internationalen Systems beantwortet werden. Nur so könne Ähnliches in Zukunft verhindert werden. Er wolle sich in dieser Präsentation auf das Scheitern des Internationalen Systems fokussieren. Spezifisch lag der Fokus auf der  ersten größeren Aggression Japans nach dem Entstehen des Völkerbundes: die Invasion der Mandschurei (ein Teil Chinas) in 1931, und warum der Völkerbund dies nicht effektiv unterbinden konnte.


Daraufhin folgte eine Kontextualisierung. Hierbei wurde ein Überblick über den Völkerbund gegeben, historiographische Debatten für die Gründe des japanischen Imperialismus dargelegt, Sino-Japanische Geschichte (1853-1930) zusammengefasst, das Meiji System Japans erläutert und die geographische, ethnische und politische Besonderheit der Mandschurei erklärt. In diesem Bericht wird die Besonderheit der Mandschurei vertieft. Die Mandschurei war ethnisch primär von Mandschu anstelle von Han Chinesen besiedelt. Aufgrund der Entfremdung der zwei ethnischen Gruppen während der Herrschaft der Qing sowie der enthnisch-nationalistischen Elemente der Xinhai Revolution, und der besonderen Situation der Mandschurei im Chinesischen Bürgerkrieg I (1927-1937), habe die Mandschurei in einer gewissen Ferne zum Rest von China gestanden und einige Autonomiebestrebungen gehabt. Dazu kam, dass die Mandschurei Teil der wirtschaftlichen Einflusszone Japans war. Als die große Depression das japanische Interesse an Kolonien verschärfte, und eine praktische Einigung zwischen der Mandschurei und der Kuomintang (Chinesischen Regierung) immer näher zu Rücken schien, entschieden sich japanische Offiziere zu einer False-Flag Operation. Dies sollte eine Invasion der Mandschurei rechtfertigen, passierte jedoch ohne das Mitwissen oder der Zustimmung der japanischen Regierung. Die Regierung sei jedoch nicht bereit gewesen, dies international einzugestehen und nutzte die Chance, sich die Mandschurei einzuverleiben. 
 
Aufgrund der Invasion appellierte der chinesische Präsident Chiang Kai-shek an den Völkerbund. Basierend auf Artikel 10, 11 und 16 des Völkerbund Paktes waren die anderen Nationen verpflichtet, China in dem Konflikt zur Seite zu stehen, durch Sanktionen, aber auch militärisch. Am 24. Oktober wurde eine Resolution angenommen, welche die japanische Aggression verurteilte, und Japan aufforderte, die militärische Operation zu beenden. Da dies jedoch ohne die Zustimmung Japans passierte, habe Japan zu Recht deren Erklärung abgewiesen - denn eigentlich durften Resolutionen dieser Art nur einstimmig angenommen werden. Der Völkerbund schickte stattdessen eine fact-finding Mission unter Victor Bulwer Lytton, um mit allen Parteien zu verhandeln und eine Empfehlung für die Konfliktschlichtung an den Völkerbund zu überreichen, wie in Artikel 12 des Völkerbund Paktes vorgesehen. Der Lytton Bericht kritisierte zwar den Einfluss lokaler Kriegsherren in der Mandschurei und erkannte die besonderen wirtschaftlichen Interessen Japans in der Mandschurei an, verurteilte jedoch die Invasion und schlug eine internationale territoriale Administration vor. Diese war sowohl von den Saarland- und Danzig Modellen internationaler Administration, sowie vom Britischen Irak Mandat, inspiriert worden. Der Völkerbund stimmte 42 zu 1 für die Resolution. Der japanische Delegat Matsuoka hielt eine unheilvolle Rede und die Japaner verließen den Raum - sowie den Völkerbund. Die japanische Regierung erkannte Manchukuo als neuen, von China unabhängigen Staat an, wobei dies nicht mehr als eine dünner Schleier der Täuschung war - in Wahrheit war Manchukuo nun eine Kolonie und vollkommen abhängig von Japan. Der Völkerbund, obwohl China weiterhin Mitglied war und somit theoretisch Schutz genießen sollte, gab auf. Es gab keine signifikanten militärischen oder wirtschaftlichen Maßnahmen. Andere internationale Akteure bemerkten dies sehr wohl, besonders Mussolini, dessen Italien wirtschaftlich in einer ähnlichen Lage wie Japan war.

Warum scheiterte der Völkerbund dem eigenen Pakt gerecht zu werden und ein Mitglied vor Aggression wie in Artikeln 10, 11, 16 vorgesehen, zu schützen? Zum einen fehlten einige mächtige Nationen, wie die USA und die UdSSR, die nicht Teil des Völkerbundes waren und so diesen militärisch schwächten, aber auch als Sanction-Busters dienten. Wirtschaftliche Sanktionen hätten ohne Teilnahme der USA Japan nicht genug geschadet, um den Krieg zu beeinflussen. Dem Völkerbund fehlten eigene Truppen, weswegen er auf die militärische Macht der stärksten Mitglieder setzte. Dies waren Großbritannien und Frankreich. Die öffentliche Meinung in diesen Demokratien stand einer militärischen Intervention auf der anderen Seite der Erde nicht wohlwollend gegenüber, besonders während der Großen Depression, denn Kriege waren und sind teuer. Der Entscheidungsprozess des Völkerbundes war viel zu langsam und erforderte Einstimmigkeit. Allein diese beiden strukturellen Faktoren beschnitten die Effektivität des Völkerbundes massiv. Die Japaner hatten ebenso legitime Kritik am Völkerbund, hinter dem sie sich mit Empörung verstecken konnten - so existierte innerhalb des Völkerbund Paktes kein Rassengleichstellungsartikel, wie die Japaner ihn nach dem Ersten Weltkrieg gefordert hatten. China war seit Jahrzehnten Opfer von Kolonialismus gewesen, die Brutalität des Bürgerkriegs und die ethnischen Spannungen zwischen der Mandschurei und dem Rest Chinas waren weit bekannt. Auch dies erhöhte die damals wahrgenommene Legitimität der japanischen Intervention. 
 
Im letzten Teil der Präsentation zeigte Mlejnek auf, wie die Mandschurische Krise auch in der japanischen Innenpolitik als Rubicon diente und den Beginn einer neuen, extremen Phase des japanischen Imperialismus markierte. Er skizzierte die Abyssinien-Krise und zeigte relevante Kontinuitäten auf - so hatte Mussolini ganz klar von dem Vorgehen der Japaner gelernt, der Völkerbund hingegen nicht. Spätestens 1935 also war die Idee der kollektiven Sicherheit gescheitert. Zum Schluss bot Mlejnek einen Ausblick über die darauf folgenden Entwicklungen in Ostasien, von der lokalisierten Krise ab 1932 zum Ausbruch des Weltkrieges 1937 (nach asiatischer Historiographie) und schließlich Pearl Harbor. 
 
In der Diskussion wurde die Rolle der UdSSR ausgearbeitet. Die Ähnlichkeiten zwischen Italien und Japan im Zeitraum 1930-1935 wurden nochmal näher beleuchtet und Fragen zu internationalen Möglichkeiten der Prävention aufgeworfen. Herr Mlejnek kommentierte seine Bibliographie und stellte den Kommilitonen eine Literaturliste mit relevanten wissenschaftlichen Werken für die eigene Vertiefung zur Verfügung.